Schießt Tradition Tore?


Dieser Text wurde beim ballesterer zur Publikation eingereicht.

Wer wenig Geld hat, macht diesen Umstand gerne zur Tugend, indem er meint: „Geld schießt keine Tore“. Dasselbe aber gilt aber sinngemäß auch für das gesamte Umfeld einer Mannschaft also das Trainerteam, den Verein, die Fans, die Sponsoren und auch die Tradition, die in diesen Fällen gerne den nahezu unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten von Mitbewerbern entgegengehalten wird. Also direkt schießt auch ein Trainer keine Tore und auch die Tradition nicht. Aber ebenso wie Geld, begünstigen ein guter Trainer aber auch Tradition den Sieg, wie hier gezeigt werden will.

Was ist eigentlich „Tradition“? Es ist die Fähigkeit einer Sozietät, gewünschte Eigenschaften von einer Generation zur nächsten weiterzugeben. Im Fußball gibt eine Spieler-Generation ihre Erfahrungen an die jeweils nächste weiter. Junge Spieler lernen von ihren älteren Kollegen eine Einstellung zur Sache, Trainer, die früher auch Spieler desselben Vereins waren, treten als Vorbild und Lehrer gleichermaßen auf. Je mehr Zeit die Mannschaft als Gruppe verbringt, desto besser gelingt das „Tradieren von Fußballkunst“. „Tradition“ ist daher ein Stafettenlauf der Fußballer-Generationen und man muss als Verein für eine ausreichende Zeit zur Übergabe des Staffelstabes sorgen.

Wenn Spieler in Interviews beteuern, dass das Klima im Team gut wäre, müssen wir dem nicht allzu viel Bedeutung zumessen. Das sind Sätze, die für das Mikrofon bestimmt sind und mit Rücksicht auf Vereinsinteressen publiziert werden. Was zählt, ist die Länge der Bindung der Spieler an das Team, denn nur langjährige Übung und intensive Zusammenarbeit mit den Teamkollegen schaffen instinktives, „blindes“ Verständnis für den Mitspieler.

Meine These ist folgende: Einzelne Spielerpersönlichkeiten können punktuell ausschlaggebend für den Erfolg sein, aber für langfristigen Erfolg ist ein Team mit Bestand gefragt. Es bildet ein besseres Kollektiv als ein Team, das lediglich nach Spielerqualität ausgesucht wird. Das Motto „Elf Freunde müsst ihr sein“ trifft am besten, was ich meine.

Kann man aber diese Behauptung mit historischen Zahlen bestätigen? Versuchen kann man es ja, und zwar so:

Wir definieren die Zeit, die ein Spieler bei einer Mannschaft bereits verbracht hat, als „Vergangenheit“ und die Zeit, die er noch verbringen wird als seine „Zukunft“ und die Summe der beiden als „Tradition“. Diese Zeiten summieren wir für alle Kaderspieler in jeder Saison und beziehen diese Summe auf die Größe des Kaders. Das ergibt pro Saison drei Größen, die man auf einer Zeitachse auftragen kann und mit den Ergebnissen in der Meisterschaft vergleichen kann. „Tradition“ wird also hier definiert als die Bereitschaft einer Mannschaft, ein Team zu bleiben.

Die Frage ist, ob zwischen Erfolg, gemessen an der Platzierung am Saisonende und der „Tradition“ des Teams ein Zusammenhang besteht.

Betrachten wir dazu den zeitlichen Verlauf dieser Größen im Verlauf der österreichischen Ligageschichte für einen beiden Vereine, die ohne Unterbrechung daran teilgenommen haben. Das folgende Diagramm zeigt den Verlauf dieser drei Größen im Verlauf der Ligageschichte. In einer bestimmten Saison wird für alle Spieler bestimmt, welche mittlere Anzahl von Jahren sie vor und nach dieser Saison gemeinsam verbringen.

Zukunft


Mittlere Anzahl der Jahre pro Spieler, die Spieler dieser Saison noch spielen werden. Große „Zukunft“ bedeutet eine junge Mannschaft. Spitzenreiter sind die Saisonen 1911/12, 12/13, 13/14, 37/38, 38/39, 39/40, 40/41, 50/51, 51/52, 52/53, 53/54 Sprünge in „Zukunft“ nach oben bedeuten, dass junge Spieler in die Mannschaft aufgenommen werden, und in den kommenden Saisonen auch noch beim Team bleiben. Gut zu sehen in den Saisonen 1935/36-> 1936/37 oder 1985/86 -> 1986/87. Dass die „Zukunfts“-Werte in den letzten Jahren gering sind, ist normal, weil nicht bekannt ist, wie lange die Spieler beim Team bleiben werden. Geringe „Zukunft“ hat ein Team, wenn es auseinandergeht, zum Beispiel, nach einem Meistertitel. Schön zu sehen ist eine solche Situation in der Saison 1968/69, nach dem Erringen zweier Meistertitel in Folge.

Vergangenheit

Anzahl der Jahre pro Spieler, die Spieler dieser Saison bereits beim Team gespielt haben. Spitzenreiter für „Vergangenheit“ sind die Saisonen 1956-1958, 1946-1949. Sprünge in Erfahrung nach unten bedeuten, dass alte Spieler die Mannschaft verlassen. Gut zu sehen in den Saisonen 1949/50-> 1950/51 oder 1958/59 -> 1959/60

Tradition

Summe aus „Vergangenheit“ und „Zukunft“. Große „Tradition“ deutet darauf hin, dass viele Spieler mit Erfahrung auf viele junge Spieler zusammentreffen. Spitzenreiter sind die Saisonen 1945-1953.

Dass am Beginn der Ligageschichte „Zukunft“ groß und „Vergangenheit“ gering ist, liegt am Neubeginn und an der Ungewissheit. Einige wenige Spieler haben auch vor 1911 bereits im Klub gespielt, daher beginnt „Vergangenheit“ nicht bei Null. Dass dann „Zukunft“ rasch abnimmt, liegt wohl an den dramatischen Ereignissen des ersten Weltkriegs, ein Effekt, der sich auch ab 1938 wiederholt. Der Mannschaftszusammenhalt, hier „Tradition“ genannt, nimmt bis Mitte der 50er Jahre zu, um danach auf einen Tiefpunkt in der Saison 1973/74 abzusinken, gefolgt von einem Hoch in den 80er Jahren und einem weiteren Absinken. Dass im letzten Teil „Zukunft“ auf Null absinkt, liegt nur daran, dass wir „Zukunft“ noch nicht kennen. Jedenfalls nimmt „Vergangenheit“ seit 2005/06 zu, was optimistisch stimmen könnte. Dass bei einem Anstieg von „Tradition“ „Zukunft“ der „Vergangenheit“ vorauseilt und umgekehrt bei einem Abfall der „Tradition“ das genau umgekehrt ist, ist nicht unlogisch. Ein Team mit „Zukunft“ hat viele gemeinsame Jahre vor sich und baut dadurch „Tradition“ auf. Ein Team mit „Vergangenheit“ hat viele gemeinsame Jahre hinter sich und baut „Tradition“ ab.

„Tradition“ und Erfolg

Als „Tradition“ wird hier die Fähigkeit eines Teams verstanden, Tugenden eines Fußballers über längere Zeit aufzubauen und zu erhalten, ausgedrückt durch die Zeit der Zusammengehörigkeit des Teams. Um diesen Zusammenhang zu veranschaulichen, wird „Tradition“ in Abhängigkeit von der erreichten Platzierung als Punktwolke aufgetragen. Durch diese Punktwolke wird eine Regressionsgerade gelegt, das ist eine Linie, die durch ihre Neigung angibt, ob zwischen den beiden Größen eine Abhängigkeit besteht.

Tatsächlich sieht man einen solchen Zusammenhang und zwar recht deutlich. Der Mittelwert aller Platzierungen ist 2.6 und die mittlere Tradition ist 6.2 Jahre. Je größer „Tradition“, desto besser ist die Platzierung. Diese Aussage ist aber statistischer Natur und gilt nicht für einen Einzelfall.

Tradition aufbauen und erhalten

Wir können aus der Grafik etwas lernen: Je besser es nämlich gelingt, ein Team zu bilden, das bereit ist, zusammen zu bleiben, desto wahrscheinlicher ist langfristig der Erfolg. Punktuelle Verstärkungen können im Einzelfall helfen (können aber, wie alle Vereine aus leidvoller Erfahrung berichten können, auch total daneben gehen). Aber was sicher ein Erfolgsrezept ist: der Zusammenhalt des Teams.

Für einen Verein ist es schwierig, in Zeiten wie diesen, ausreichende Anreize für den Verbleib erfolgreicher Spieler zu bieten aber wenn man langfristigen Erfolg will, muss man muss man versuchen, die Kontinuität im Team zu bewahren, zumindest deuten das diese Zahlen an.

Anmerkungen

Der Spruch „Elf Freunde müsst ihr sein.“ wird Sepp Herberger zugeschrieben, doch muss er viel älter sein, denn am Fuß der Viktoria-Statue, der alten Trophäe für den Deutschen Meister stand eingraviert: „Elf Freunde müsst ihr sein, wenn ihr Siege wollt erringen“.http://de.wikipedia.org/wiki/Elf_Freunde_m%C3%BCsst_ihr_sein

Zum Autor: Der Autor ist seit etwa 12 Jahren aktiver Besucher von Fußballspielen im In- und Ausland. Als Techniker ist er an statistischen Zusammenhängen in den Abfolgen, von Toren, Siegen und Titeln interessiert.

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