Heimschwäche

Wenn’s nicht läuft, dann muss jemand schuld sein, das war in unseren Breiten schon immer so. Juden, Hexen, die „da oben“. Wir verfallen in archaische Reflexe, aber da wir das wissen, sollten wir dieses Verhalten hinterfragen. Ob nämlich ein systemischer Fehler vorliegt, das fragt niemand oder gar, welchen Anteil man selbst an der Misere haben könnte.

Es hat etwas mit dem Stadionneubau zu tun, mit der damit entstandenen viel größeren Organisationsform, die dem Verein vielleicht mehr schadet als einzelne Mitarbeiter. Mario, ein Rapidler, schreibt in Facebook drastisch: „Bis auf den Namen und die Farben gehört bei Rapid alles geändert, einfach alles! Von mir aus reißts die Hittn wieder ab und bauts as neich! Weg mit dieser Schlangengrube.“

Wir sind im Allianz-Stadion noch nicht angekommen, und die Derby-Bilanz ist nur ein Symptom dafür.

Festung St. Hanappi

Seit wir im neuen Stadion sind, konnten wir nicht so recht an frühere Erfolge anknüpfen, obwohl natürlich auch damals nicht alles eitel Wonne war. Aber die damalige Spielfreude und sogar die Einheit von Mannschaft und Anhängerschaft gehen uns heute ab. Auf einen Nachfolger für das Bild wie das von der „Festung St. Hanappi“ werden wir wohl noch länger warten müssen.

Anstelle einer weiteren Verstärkung der „Festung St. Hanappi“ gab es bereits in der ersten Saison 2016/17 eine nie dagewesene Talfahrt; das Rapid-Marketing forderte zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung auf:

Seither befinden wir uns im Dauereinsatz, „den Karren aus dem Dreck zu ziehen“, und der Turbo will und will nicht anspringen.

Leider ist dieses zweite Bild mit dem Karren jenes, das fast schon zum Symbol für die erste Zeit im Allianz-Stadion stehen kann.

Die Ursünde

Die Rapid-Führung war vor der Fertigstellung des Stadions einerseits überarbeitet, anderseits aber in einer so euphorisierten Stimmung, dass man die Überlastung gar nicht wahrnahm. Alle glaubten: „mit dem neuen Stadion wird alles besser“. In erster Linie meinte man die Mehreinnahmen im Hinblick auf einen größeren Spielraum bei den Transfers.

Die Hoffnung auf deutliche Mehreinnahmen wurde aber nicht in dem Umfang erfüllt, wie man sich das erhofft hat. Nach den ersten Spielen erzählte uns Andy Marek, dass er eigentlich angenommen hätte, dass die ersten Heimspiele im neuen Stadion ausverkauft sein werden. Seine optimistische Erwartungshaltung wurde enttäuscht und mit ihr auch andere überzogenen Hoffnungen.

Diese Anfangseuphorie verleitete zu teuren Einkäufen, vielleicht auch zu einer überdimensionierten Verwaltung, die das Sportbudget für die nächsten Saisonen schrumpfen ließen.


Wie viel besser alles früher war, sollten wir aber nicht nur unsere durch die Zeit verklärten Erinnerungen beurteilen lassen, sondern anhand konkreter Zahlen bewerten.

Früher und heute

Ausgewertet wurden 3 und 7 Saisonen, vor und nach der Saison 2016/17. (Die aktuelle Saison 2022/23 ist mit 10 Spielen noch am Anfang.) Ermittelt wurde die mittlere Punktezahl für alle Liga-Spiele einer Saison. Es wurden 467 Spiele zwischen 2009 und dem gestrigen Derby für die Bewertung herangezogen.

-3…+3 Saisonen (2016/17)

Der Einzug ins neue Stadion ging mit einem sportlichen Niedergang einher,

Punkte pro SpielGesamtAuswHeim
2012/13-2015/16 (Hanappi/Happel)1,81,52,1
2016/17-2018/19 (Allianzstadion)1,51,31,7

Die Bilanz ist ernüchternd. 0,2 Punkte weniger bei Auswärtsspielen und 0,4 Punkte weniger bei Heimspielen. Die Erwartungen für einen sportlichen Erfolg haben sich nicht erfüllt. Die frühere Festung St. Hanappi wurde zu einem beliebten Spielort – für die Gegner.

Etwas unpassend wirken in diesem Zusammenhang auch die Wandmalereien im Gang der Gästekabine, die eine Art Fußballhölle suggerieren, die die Spieler da erwartet. Aus der Sicht der Gegner aber, ist dieses Spiel in Hütteldorf ein echtes Highlight der ganzen Saison. Mehr noch als in St. Hanappi genießt man hier eine einzigartige Kulisse, die den Gegner möglicherweise mehr motiviert als uns lieb ist.

-7…+7 Saisonen (2016/17)

Punkte pro SpielGesamtAuswHeim
2009/10-2015/16 (Hanappi/Happel)1,71,52,0
2016/17-2022/23 (Allianzstadion)1,61,51,6

Über einen längeren Zeitraum werden die Zahlen versöhnlicher, immerhin ist die Gesamtpunktezahl pro Spiel nur um 0,1 Punkte geringer, auffällig ist aber, dass auch über diesen 7-Jahreszeitraum im Heimstadion um 0,4 Punkte weniger erspielt worden sind.

Auswärtsspiele scheinen uns mehr als Heimspiele zu liegen. Jetzt, nach dem verlorenen Derby liegt unsere Mannschaft in der Auswärtstabelle auf Platz 3 und in der Heimtabelle auf Platz 9.

Der Traum, dass ein Fußballstadion Tore schießt, ist damit ausgeträumt. Warum aber die Ergebnisse nicht einmal gleich, sondern sogar schlechter sind, darüber sollte man sich tatsächlich mehr Gedanken machen als um die Kündigung von irgendjemand. Nicht nur jetzt ist der Karren verfahren, er ist es seit der ersten Saison 2016/17.

Vom Verein zur GmbH

Es gibt einen gravierenden Umstand, der mit dem Einzug ins neue Stadion einhergeht, die Organisationsform. Bis zu den beiden Jahren im Happel-Stadion war Rapid ein Verein, bei dem wir Anhänger praktisch jeden der Akteure gekannt haben. Das beschreibt die Übersichtlichkeit der Strukturen. Rapid war den kleineren Vereinen ähnlicher als das heute der Fall ist.

Mit dem neuen Stadion kam aber die GmbH, und eine der wesentlichen Neuerungen war die Reorganisation in Abteilungen aber gleichzeitig auch eine Vervielfachung des Personalstandes in Anlehnung an die Gegebenheiten in der Industrie.

Die Frage ist, ob die Größe dieses administrativen Bereichs durch die Zunahme der Einnahmen gerechtfertigt ist.

Und natürlich könnte es sein, dass diese Struktur zu wenig dynamisch ist, um sich den „volatilen“, also stark schwankenden Bedingungen des Fußballbetriebs anpassen zu können.

Nicht ohne Stolz vermeldete Christoph Peschek, dass es gelungen sei, niemanden aus den Reihen der Röhrenbelegschaft während der Corona-Zeit gekündigt zu haben, obwohl in diesen zwei Jahren die Einnahmen stark eingebrochen sind.

Was dieses „Durchfüttern der Röhrenbelegschaft“ für den Sportbetrieb bedeutet, können wir an den bescheidenen Transfers ablesen. Priorität haben Eigenbauspieler (nicht immer), vertragslose und „preiswerte“ Spieler.

Könnte es also nicht sein, dass die Mehreinnahmen im neuen Stadion zu einem guten Teil durch die neuen Strukturen verbraucht werden und dem Sportbetrieb kaum mehr Mittel verbleiben als das vorher der Fall war? Anders gesagt: ist die Verwaltung zu groß geraten?

Ähnliche Überlegungen gelten auch in Richtung der kleineren Mitbewerber. Wie kann es sein, dass viel kleinere Vereine konkurrenzfähige Spieler aufbieten können? Mit ein Grund ist der Personalstand. Dieser Umsatz von 30-40 Millionen Euro pro Jahr will von jemandem erwirtschaftet werden und dessen Gehalt fehlt dann beim Sportbetrieb.

Sportdirektoren

Spiele werden nicht nur am Rasen entschieden. Alle anderen Bereiche des Vereins sind dabei ebenfalls im Wettbewerb im Sponsoren, Mitglieder, Einschaltziffern, Eintrittskarten, Konsumation usw. Ganz besonders wichtig ist aber die Aufgabe des Sportdirektors. Die Bilanz der Sportdirektoren bei Rapid ist eher durchwachsen. Viele teure Flops vernichteten viel des Budgets.

Erinnern wir uns an die erste Saison im neuen Stadion. Wegen der Hoffnungen auf höhere Einnahmen wurden ein Isländer und ein Kroate um je 3 Millionen Euro gekauft, eine Summe, die wir heute vielleicht für alle Neuerwerbungen zusammen investieren können. Gleichzeitig wurden damals Spieler mit hohen Gehältern an den Verein gebunden. Fußball als Geldvernichtungsmaschine.

Der Beobachter vergleicht die Transfers von Rapid mit denen anderer Vereine, und man hat den Eindruck, als wären wir in dieser Disziplin weniger gut aufgestellt.

Auch die Förderung der Eigenbauspieler macht nicht immer die gewünschten Fortschritte. Warum man zum Beispiel Lukas Sulzbacher keine Chance in der Kampfmannschaft gegeben hat und stattdessen den Kaufspieler Martin Koscelnik (Ausländer) verpflichtet hat, erschließt sich dem Betrachter nicht. Die Legionäre sollen – wenn sie schon verpflichtet werden müssen – besser sein als vergleichbare Inländer – sagte man uns wenigstens.

Die Sportdirektoren konnten insgesamt mit ihren Transfers nicht überzeugen und stehen nicht zu Unrecht in der Kritik. Möglicherweise ist aber auch ein zu geringes Sportbudget dafür verantwortlich, jedenfalls ist dieses Budget klein im Vergleich mit dem immer wieder zitierten Umsatz von 40 Millionen Euro. Dass man sich bei wenig Budget in ein Japan-Abenteuer eingelassen hat, ruft beim Beobachter Kopfschütteln hervor.

Bei Rapid freut man sich fast mehr über Abgänge (Kitagawa, Alar..) als über Zugänge.

Trainer

Der erste Trainer im neuen Stadion war Mike Büskens. Es begann erfolgversprechend mit einem 4:0 gegen Trencin am 18. August, doch bereits beim Rückspiel im neuen Stadion dürfte die erste Spielfreude verflogen sein, und wir konnten froh sein, nur zwei Tore bekommen zu haben. Vorbei war der erste Höhenflug und zwei Monate später war Büskens Geschichte.

Aber man hat ihm wahrscheinlich mit der Kündigung Unrecht getan, denn statt eines positiven Trainereffekts ging es danach noch mehr bergab.

Kein einziger Trainer im neuen Stadion konnte überzeugen. Am besten gefiel uns Gogo, doch der scheiterte an der Ablehnung durch den Block, nicht an seinen Leistungen. Dass er gekündigt wurde, lag schlicht daran, dass der Stürmer Kvilitaia nicht adäquat nachbesetzt wurde. Und ohne geeignete Stürmer keine Tore. Und auch hier brachte der Trainerwechsel nichts, die Ergebnisse war anfangs sogar deutlich schlechter als unter Gogo.

Beide Meistertitel, die wir erlebt haben, beruhten nicht unbedingt auf der Genialität des Trainers. In beiden Fällen hatten sie eine vorteilhafte Spielerkonstellation als Leistungsträger zur Verfügung. (Hickersberger mit Hoffmann/Ivanschitz, Pacult mit Hoffer/Maierhofer.)

Es gibt auch Trainer, die zu einer Mannschaft nicht passen (Canadi), und Trainer, die durch äußere Umstände unter ihrem Wert geschlagen werden (Zellhofer). Aber außerhalb dieser Sonderfälle wirken sich Trainer nicht auffallend positiv auf das Spielglück aus.

Trainer seit 2009

Die Zeiten, in denen Trainer 1,8 Punkte pro Spiel erspielt haben, sind vorbei. Kündigungsgründe waren 0,8; 1,4; und 1,6 Punkte pro Spiel. Feldhofer mit 1,5 PpS braucht daher dringend Punkte, doch seine Spieler machen nicht mit oder sind vielleicht tatsächlich insgesamt zu schwach.

Ruhekissen und Sprungbrett

Die Fluktuation ist groß, Stammspieler haben Seltenheitswert.

Im Vereinsvergleich hat man den Eindruck, als würde die Konkurrenz ein „besseres Händchen“ bei Neuverpflichtungen und auch bei der Pflege von Stammspielern zu haben.

Dass Spieler mit auslaufendem Vertrag nicht verlängern (Stojkovic), sondern zum Mitbewerber wechseln, deutet auf eine Unterdotierung der Gehälter hin.

Viele, zunächst erfolgversprechende, Spieler erwecken nach einiger Zeit den Eindruck, als hätten sie ihr Ziel – eine Art Frühpension bei vollen Bezügen – erreicht.

Die Leistungen von Neuzugängen ist oft sehr gut, um dann aber nach einiger Zeit abzuflachen. Was, wenn diese Spieler sehr schnell als Leistungsträger genannt und anerkannt werden, dann aber erkennen, dass sie allein den Karren ziehen und andere weniger motiviert an die Sache herangehen. Sie verlieren die Motivation.

Neue Spieler, die weiterkommen wollen, präsentieren sich einige Monate bei Rapid; zu kurz, um Rapid zu nachhaltigen Erfolgen zu verhelfen.

Zuschauer

Rapid erzielt bei Heimspielen deutlich weniger Punkte als in den Jahren vor 2016. Von einer „Festung Allianzstadion“ sind wir weit entfernt. Man kann diese Heimschwäche wegen der großen Zahl der Spiele nicht mehr als zufällige Schwankung interpretieren.

Was also ist jene Größe, die den Unterschied zu früher ausmacht?

Während das Hanappi-Stadion noch fast als familiär empfunden wurde, geht von der heute imposanten Kulisse im Allianz-Stadion ein größerer Erfolgsdruck aus. Nun könnte man einwenden, dass es weit größere Stadien mit noch viel mehr Druck gibt. Ja, aber wenn wir zum Beispiel nach Deutschland schauen, sind dort alle Stadien größer und immer auch bestens gefüllt. Die Mannschaften sind große Kulissen gewöhnt. Rapid hat in Österreich eine einzigartige Kulisse zu bieten und die Zuschauer nehmen sich das Recht, wie ein römischer Kaiser mit Daumen rauf oder Daumen runter über die Darbietung zu urteilen.

Die negativen Bewertungen sind für die Entwicklung der Mannschaft nachteilig, insbesondere in Phasen, in denen es nicht so gut läuft.

Der Block-West hat sehr ambivalente Züge. Wenn es läuft oder wenn es „um die Wurst“ geht, ist die Unterstützung durch den Block wirklich gegeben. Statt aber bei weniger erfolgreichen Spielen einfach nichts zu tun oder leiser zu applaudieren und in den Modus „wir halten zusammen“ umzuschalten, artet das Spielende in eine „Bestrafung der Schuldigen“ aus. Und wenn es dann – wie beim Heimspiel gegen Vaduz – ein ziemlich unrühmliches Spielende zu überwinden gilt, verliert das Spiel den seinen Charakter und man wird handgreiflich.

Ich glaube, dass eventuell eine zu geringe Solidarität zu den Akteuren besteht und vor allem die an Bestrafung erinnernden Reaktionen einen gewissen Anteil an dieser Heimschwäche haben.

Anhang

Excel-Tabelle

Abfrage-Saisonen

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Abfrage-Trainer

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